Um die russische Literatur hatte sich Ljudmila Ulitzkaja bereits verdient gemacht, als sie selbst noch gar nichts veröffentlichen konnte. Während ihrer Tätigkeit als Genetikerin am Moskauer Akademieinstitut 1967-1969 nahm sie aktiv an der Vervielfältigung und Verteilung in der Sowjetunion verbotener Romane (der so genannten Samisdat-Literatur) teil, weswegen man sie auch entließ. Später schlug sie sich als Assistentin des künstlerischen Leiters am Jüdischen … mehrKammermusiktheater durchs Leben, war aber bald schon zu enttäuscht von den Repressalien, um weiterzumachen. Erst 1983 konnte sie erste Erzählungen publizieren, danach wurden ihre Arbeiten immer wieder von Literaturzeitschriften abgelehnt -- angeblich aus "künstlerischen Gründen". Das kann niemand verstehen, der Die Lügen der Frauen gelesen hat -- wohl aber, dass den sowjetischen Machthabern auch in den literarischen Entscheidungsgremien die warme, herzliche und scharfe Prosa früherer Texte aus ideologischen Gründen nicht gefallen hat. Erzählt wird die Geschichte von Shenja, der die Frauen gleich reihenweise von ihren traurigen Schicksalen berichten: besonders traurig nur, dass keine der Geschichten stimmt. Als Shenja in einen Verkehrsunfall verwickelt und an den Rollstuhl gefesselt wird, muss sie sich die wahren Freuden des Lebens neu erkämpfen, um nicht in eigenen Lebenslügen zu versinken. Die Lügen der Frauen ist ein starkes, ein poetisches Buch, dass hinter den Schwindeleien die wirklichen Abgründe im Leben der Figuren offen legt. Von Ljudmila Ulitzkaja jedenfalls, um die sich die Literaturzeitschriften in ihrer Heimat inzwischen reißen, möchte man schnell mehr zu lesen bekommen. --Stefan Kellerer weniger